Wie konnte das passieren? Im November 2015 erhält eine Buchhalterin per Mail von ihrer Chefin den Auftrag, eine „vertrauliche Finanztransaktion“ durchzuführen. Mehr als 1,9 Millionen Euro solle sie überweisen. Auf ein Konto in Hongkong. Doch nicht per elektronischer Überweisung, wie üblich. Nein, per Fax solle es sein. Gesagt, getan. Ohne mit der vermeintlichen Auftraggeberin, deren Büro wenige Türen weiter ist, persönlich darüber zu sprechen, überweist die Mitarbeiterin den Millionenbetrag. Das Geld ist weg, die Buchhalterin muss das Unternehmen verlassen. Und der Arbeitgeber, eine süddeutsche Bäckerei, trifft sich mit seiner Bank vor Gericht. Wer hat Schuld am Millionen-Verlust?
Enkeltrick für Unternehmensräuber
Es sind Vorfälle, die Mittelständler in den Ruin treiben können. Denn ein Happy End gibt es meistens nicht. Die süddeutsche Bäckerei ist hier kein Einzelfall. Immer mehr Unternehmen werden Opfer. Die WirtschaftsWoche schreibt von einem „alten Gaunertrick“, der auf neue und effektive Art Unternehmen schaden soll: Der Enkeltrick für Unternehmensräuber. Das Konzept ist schnell erklärt: Fremde geben sich per Mail als Vorgesetzte aus. Sie überzeugen Mitarbeiter durch Detailkenntnisse und täuschend echte Mailadressen davon, ihnen Millionen vom Firmenkonto zu überweisen. „CEO-Fraud“ oder „Chef-Trick“ wird das Phänomen in Ermittlerkreisen genannt.
Wer ist schuld?
Schon einige Gerichte mussten sich mit dem „Chef-Trick“ befassen. Wer ist schuld daran – das Unternehmen allein oder trägt die Bank eine Mitschuld? Eine klare Urteilslinie gibt es bisher nicht.
Im oben genannten Falle sieht der Rechtsanwalt der Bäckerei bei der Hausbank zumindest eine Mitschuld. Hätten die Bank-Mitarbeiter nicht misstrauisch werden müssen? Bei so viel Geld, das außerdem per Fax überwiesen werden sollte? Keineswegs, so die Antwort des Anwalts der Bank. Ein Bankmitarbeiter hätte schließlich noch einmal nachgefragt. Die eindeutige Antwort der Buchhalterin: Mit der Geschäftsführung sei alles abgesprochen.
Das Landgericht München entschied im Fall der Bäckerei, dass diese und ihre Bank jeweils zur Hälfte Recht hätten. Und je zur Hälfte für den Schaden aufkommen müssten. Ganz anders sieht es das Oberlandesgericht, das die Berufungsverhandlung führt. Die Bank hätte zu einem geringeren Teil Schuld am Schaden. Auch die Vergleichsverhandlungen sollen sich auf ein Viertel bis ein Drittel belaufen.
Polizei warnt vor Betrügern
Besonders häufig sind Autohäuser und Werkstätten, Sportvereine und Handwerksbetriebe sowie soziale Einrichtungen und Kulturorganisationen von Chef-Betrügereien betroffen. Das Bundeskriminalamt hat einen Warnhinweis veröffentlicht. Folgende Punkte sollten bei ungewöhnlichen Zahlungsanweisungen stets durchgeführt werden:
- Überprüfen der E-Mails: Häufig liegt hier bereits der erste Hinweis. Ist die Absenderadresse auch wirklich korrekt geschrieben?
- Verifizieren der Zahlungsaufforderung: Rückruf oder Rückfrage beim genannten Auftraggeber
- Kontaktaufnahme mit der Geschäftsleitung oder dem Vorgesetzten
Fällt ein Mitarbeiter doch auf den Enkeltrick herein, heißt es schnell sein und bestenfalls die Rechtsabteilung oder einen Rechtsanwalt einschalten:
„Handelt ein betrogenes Unternehmen schnell und schaltet Polizei und Anwälte ein, hat es eine Chance, das Geld, sofern es bei einer Bank deponiert ist, vom Gericht einfrieren zu lassen und zurückzubekommen“, erklärt Kim Lars Mehrbrey, Anwalt der Kanzlei Hogan Lovells, in der WirtschaftsWoche.
Titelbild: © Miniloc